Die Anti-Hillary
Von
Eva C. Schweitzer
5.
Mai 2014
Die
US-Demokratin Elizabeth Warren könnte
Hillary Clinton den Rang ablaufen: Die Parteilinke will, dass sie bei den Präsidentschaftswahlen
2016 kandidiert. Denn die
Harvard-Professorin gilt als
Kapitalismuskritikerin
Ein bisschen wie eine Schullehrerin
wirkt sie – bieder, ehrlich, intellektuell. Gar nicht wie die radikallinke Kapitalismuskritikerin, als die sie gehandelt wird.
Elizabeth Warren, demokratische Senatorin
in Massachusetts, hat ihre Autobiografie
veröffentlich, „A Fighting Chance“. Ein Wortspiel, das „Eine knappe Chance“ bedeutet, aber auch: „Eine Chance, wenn man kämpft“. Zusammen mit Thomas Pikettys „Capital In The Twenty-First Century“ ist es ganz
vorne in den US-Bestseller-Listen. Dabei ist Warren gar keine Arbeiterbewegte, sie ist eine
Verteidigerin der Mittelklasse. Aber in den USA, wo die Mittelklasse verarmt, wo Millionen
ihr Häuschen, ihren Job, ihre Krankenversicherung verloren haben, klingt sie
wie Rosa Luxemburg. „Das Spiel ist
gezinkt – gezinkt, damit es für
die funktioniert, die Geld und Macht
haben,“ schreibt sie in „A Fighting Chance“, und: „Großkonzerne
engagieren Armeen von Lobbyisten, um milliardenschwere Steuerschlupflöcher zu finden und ihre Freunde im Kongress
zu überzeugen, Gesetze zu verabschieden,
damit die Chancen ungleich verteilt bleiben.“
„Kandidiere Liz, kandidiere“
Barnes
& Noble am New Yorker Union Square vor einer Woche. Der
größte Buchladen der Stadt ist
randvoll. Viele sind Stunden vor
der Lesung gekommen. Während Warren spricht, werden Fragen auf Kartonkarten eingesammelt. Welche ist die häufigste, will der Moderator dann wissen. „Ob ich als Präsidentin kandidiere“, sagt die Senatorin. „Run, Liz, run!“ – kandidiere,
Liz, kandidiere, ruft daraufhin eine Frau im Publikum, das in Applaus ausbricht. Warren lächelt und schüttelt den Kopf.
„Nein, ich kandidiere nicht“, sagt sie.
Darauf das Publikum einstimmig: „Ooch!“
Elizabeth
Warren, eine 64-jährige Hochschulprofessorin
und Juristin, die in Harvard lehrte,
ist die Anti-Hillary. Sie ist die Demokratin, von der die Parteilinke hofft, dass sie
kandidieren wird, wenn der Präsidentschaftswahlkampf
2016 beginnt. Ob Warren in einer
Partei, die stets ängstlich
auf den rechten Rand schielt,
eine knappe Chance hat, ist eine andere
Frage. Dass sie sich heute
nicht offen positioniert, ist selbstverständlich. Aber in der amerikanischen Politik kann man gar nicht früh genug
anfangen. Linke Gruppen wie „Progressive Change
Campaign Committee“ oder „Americans for Financial
Reform“ rühren bereits für sie die Werbetrommel
oder verkaufen ihr Buch, auch
MoveOn.org, die von George Soros finanzierte liberale Plattform, dazu Universitäten und Frauengruppen wie EMILY's List, ein Political
Action Committee, das liberale Frauen unterstützt. Und ihr Buch liest sich
ohnehin wie ein Wahlkampf-Manifesto.
Warrens
späte Karriere ist ein Produkt
der Krise von 2008, als die Wall Street, nach wilden, ungezügelten Spekulations-Jahrzehnten einbrach
und mit Milliarden von Steuergeldern gerettet wurde, während die Mittelklasse auf der Strecke blieb. Noch heute hat sich der Arbeitsmarkt
nicht erholt, während die schmale Schicht der Ultrareichen
noch reicher wurde. Warren beriet damals den Kongress; sie war Juristin, spezialisiert auf Konkursrecht für Privatpersonen. Das hatte sie schon
als Kind berührt, in
Oklahoma, als ihr Vater nach einem
Herzinfarkt seinen Job verlor und die Familie fast bankrott ging. Sie musste damals
nach der Schule als Kellnerin
arbeiten. Im November 2008 berief der demokratische
Mehrheitsführer Harry Reid sie
zur Vorsitzenden des
„Congressional Oversight Panels“, das Aufsichtsgremium,
das über TARP wachte, das
„Troubled Asset Relief Program“, das Wohltaten an
Banker verteilte.
Zunächst galt sie als moderat,
sie hatte sogar einst den Republikanern nahegestanden. Aber dann trat
sie in Michael Moores Filmen und in Jon Stewarts Daily Show auf. Sie wurde zur
herben Wall-Street-Kritikerin
und zur Konsumenten-Advokatin.
Nicht immer erfolgreich; sie konnte es nicht
verhindern, dass es privaten Schuldnern
erschwert wurde, Konkurs anzumelden. Aber sie gab nicht
auf. Sie setzte sich für das „Consumer Financial
Protection Bureau“ ein, ein
Amt zum Schutz der Bürger in Finanzdingen.
Es ging um Kreditkartenschulden,
die sich im amerikanischen Schneeballsystem exponentiell vermehren, um Schulden, die Studenten wegen der immensen
Studiengebühren haben, und,
natürlich, um Hauskredite. Mit der Finanzkrise
hatten die Banken die Schuldzinsen erhöht, während viele Immobilien
an Wert verloren, das brach
den betroffenen Familien finanziell den Hals. Das Amt wurde
tatsächlich gegründet,
Obama berief sie aber nicht zur
Vorsitzenden – die Republikaner
waren dagegen Sturm gelaufen. Damit hatte sich die GOP keinen Gefallen getan. Warren beschloss nun, in
die aktive Politik zu gehen und als
Senatorin zu kandidieren.
Warren
kämpfte um das Senatoren-Amt
in Massachusetts
Sie tat das ausgerechnet
in dem Staat, den die Republikaner endlich erobert hatten; Massachusetts, wo Scott Brown den langjährigen demokratischen Senator Ted Kennedy beerbt
hatte. Der Wahlkampf war teuer – fast 40 Millionen Dollar – und heftig:
Brown warf Warren vor, sie habe ihre
Professorenstelle in Harvard nur
auf einem Minderheitenticket
bekommen, weil sie behauptet habe,
1/32 Cherokee zu sein. Dabei könne doch
jeder sehen, dass die blonde, blauäugige Frau weiß sei. Ein
Streit, wie es ihn nur
in Amerika geben kann. Warren sagte, dass sei eben
„Familienfolklore“ (praktisch
jeder zweite Amerikaner bildet sich ein, ein
bisschen Cherokee zu sein). Letztlich war es offenbar Harvard, das einen Affirmative-Action-Posten mit ihr füllte
und nicht sie, die sich damit beworben
hatte. Als Brown-Sympathisanten in „Redface“ auftauchten und Tomahawks schwangen,
musste sich Brown sogar bei den Cherokee entschuldigen. Danach versuchte Brown, Warren als Klassenkämpferin zu denunzieren, da sie sich für
Steuererhöhungen für Reiche ausgesprochen hatte; sie aber
erinnerte daran, dass der Reichtum
Amerikas auf der Infrastruktur beruhe, den Straßen, den Eisenbahnen, den Häfen. Brown verlor.
2011
war sie zurück in
Washington als Senatorin.
Nun war sie wieder im Banking Committee, das die Wall Street überwacht. Ihr erster Gesetzesentwurf, zusammen mit dem
Sozialdemokraten Bernie Sanders, wollte
es Studenten ermöglichen, zu den gleichen günstigen Bedingungen Kredite zu bekommen wie
Banken. Selbstredend wurde das Gesetz nicht verabschiedet. Einen Nerv trifft
es schon. Viele Studenten haben hunderttausende von Dollar Schulden, aber gute Jobs werden immer weniger. Und Hillary, das denken viele, steht
der Wall Street zu nahe, um etwas zu ändern.