BILD trifft den (vielleicht bald) mächtigsten Mann
der Welt
Von Karina Mössbauer
Sein Bruder ist Ex-US-Präsident George W. Bush (68), sein Vater Ex-US-Präsident George H. W. Bush (90) und auch er hat Ambitionen auf das höchste Amt der Welt: Präsident der Vereinigten Staaten.
Ich treffe John Ellis „Jeb" Bush (62) auf dem Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrates im InterContinental am Tiergarten in Berlin. Er sitzt in der ersten Reihe direkt vor dem Podium:
nachtblauer Anzug, blaue Krawatte mit weinroten Punkten, US-Flagge als Anstecker am Revers, rahmenlose Brille, nicht allzu fester Händedruck.
Ich zeige ihm ein Foto auf dem sein Vater gemeinsam mit Alt-Kanzler Helmut Kohl (85) und dem Ex-Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow (84), zu sehen ist. Die drei Politiker posieren vor drei großen Mauerstücken auf dem Vorplatz des Axel Springer Verlags. Sie sind die Schöpfer der deutschen Wiedervereinigung.
„Wo ist das?", fragt Bush neugierig. „Wann war das?" Er analysiert das Foto. „Das muss schon eine Weile her sein." Das Foto entstand 2009 anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls. Stolz zeigt er das Foto seinen interessierten Sitznachbarn.
Sein Verhalten unterstreicht, was er zuvor in seiner Rede gesagt hatte: Er schaut zu seinem Vater auf. „Er ist der großartigste Mensch, den ich je getroffen habe", sagt er. „Darf ich das behalten", fragt er verlegen. „Klar", sage ich. Er freut sich.
„Was mögen Sie besonders an den Deutschen?" will ich von ihm wissen. Bush muss lachen. „Ich hatte eine tolle Zeit hier." Heißt das also die Gastfreundlichkeit?
Innerhalb von Sekunden hat sich eine Riesentraube um uns gesammelt: Fotografen, Veranstaltungsteilnehmer und Sicherheitsleute kämpfen um die besten Plätze in seiner Nähe.
Männer in Anzügen, Manager und Verbandsfürsten, lassen sich Autogramme von Jeb Bush geben. Der Raum ist voll. Jeder Sitz in dem fußballfeldgroßen Raum ist belegt. Die Gäste stehen in zweiter und dritter Reihe an den Wänden. Zwischenzeitlich lässt das Sicherheitspersonal niemanden mehr in die Halle. Mehr als 2500 Teilnehmer, darunter etwa 250 Pressevertreter, sind vor Ort. Auch internationale Medien wie CNBC sind vor Ort.
Man könnte meinen, Jeb Bush sei bereits US-Präsident. Dabei hat er noch nicht einmal seine Kandidatur bekanntgegeben. Das wird er voraussichtlich aber am Montag an einem College in Miami/Florida tun. Nach seinem Vater (Nr. 41) und seinem Bruder (Nr. 43) könnte er der 45. Präsident der USA werden.
Zuvor tourt der Kandidat in spe durch Europa. Er will sich schon mal in Stellung bringen und dazu sein außenpolitisches Profil schärfen. Deutschland, Polen, Estland. Schließlich muss ein Bewerber auf das höchste Amt seine außenpolitische Expertise unter Beweis stellen.
Das merkt man auch der zwölfminütigen Rede an. Er kritisiert Putins Verhalten in der Ukraine-Krise scharf und geht ein auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen, die seit der NSA-Affäre getrübt sind. Er spricht sich für den Abschluss der Freihandelsabkommens TTIP aus. Für sein eigenes Land fordert er Strukturreformen, spricht sich gegen Steuererhöhungen aus. Diese würden Arbeitsplätze gefährden.
„Die USA könnten eventuell das erste Industrieland sein, das sich neu entwickelt", sagt Bush. Der Modus ist auf Angriff gestellt. Danach ist klar: Er macht sich warm für den Wahlkampf.
Viel wurde spekuliert, ob Kanzlerin Angela Merkel (60), die auch zur Veranstaltung erwartet wurde, versuchen würde, Jeb Bush aus dem Weg zu gehen.
Ein Treffen mit Barack Obama im Jahr 2008 hatte die Kanzlerin vermieden. Es gab keine Begegnung.
Kein Bild. Die Regierung hatte damals sogar dafür gesorgt, dass der demokratische Bewerber nicht vor dem Brandenburger Tor sprechen durfte. Das hätte als Parteinahme missverstanden werden können, hieß es damals. Man wolle nicht in den Wahlkampf eingreifen.
Doch als Merkel dann um 19 Uhr im InterConti eintrifft, geht Merkel entspannt auf Bush zu, schüttelt Hände, lächelt fürs Foto und plaudert kurz mit ihm.
Drei Reden (Siemens-Chef Joe Kaeser, Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves, Angela Merkel) stehen noch auf dem Programm bis zum offiziellen Veranstaltungsende. Der Ausgang wird gekrönt von einer Live-Darbietung der deutschen Nationalhymne.
Jeb Bush bleibt tapfer und hält eineinhalb Stunden auf seinem Platz in der ersten Reihe durch. Doch nach dem musikalischen Schluss-Akkord um 20.30 Uhr verlässt er fluchtartig die Halle. Die Frage einer US-Fernseh-Journalistin, ob für ihn in Berlin alles nach Plan lief, lässt er unbeantwortet.
Vor dem Hintereingang des Personals steht bereits ein Mercedes-Bus. Er nimmt vorne Platz und verschwindet mit dem Foto in den Berliner Abend.