Ein Grund zu Feiern
Von Julia Gerlach
Der Tod
von Muammar al-Gaddafi ist erst einmal ein
Grund für eine Party. Er wird dem Arabischen
Frühling auch neuen Schwung bringen.
Hoffentlich.
Kaum hatte das
libysche Fernsehen die Nachricht bestätigt, knallten in Tripolis die Gewehrsalven, und in Bengasi strömten die Menschen zusammen. Oberst Muammar
al-Gaddafi ist tot – und in Libyen und in vielen Städten in der arabischen Welt wurde gestern gefeiert. Zu Recht. Das
Ende der Ära Gaddafi ist
ein Grund zum Jubeln für
alle Menschen in der Region. Oder sagen wir lieber:
für fast alle.
Für Baschar al Assad, Ali
Abdullah Salih und andere noch-regierende arabische Herrscher der alten
Schule ist
dies ein schwarzer Tag. Er macht ihnen
deutlich, dass
auch ihr Ende nahe ist.
In den letzten Wochen hatten sie wieder
ein wenig die Oberhand gewonnen, konnten die Protestbewegungen in Schach gehalten. Die ägyptische Militärregierung dehnt ihre Macht
immer mehr aus, die syrische Regierung entkommt immer wieder schärferem
Druck durch die internationale Gemeinschaft
und Ali Abdullah Saleh hält sein
Volk seit Wochen hin.
Trendsetter
in dieser Verwirrungsstrategie
war Muammar Al Gaddafi, der sieben
Monate NATO-Einsatz überlebt hatte und dem es nach
dem Sturz von Tripolis gelungen war, die Truppen des Übergangsrates an der Nase herumzuführen. Immer wieder stürmten
sie Gebäude, belagerten zunächst in Tripolis Stadtteile und später mit Bani
Walid und Sirte ganze Städte auf der Suche nach dem
flüchtigen Diktator. Das Versteckspiel hätte Gaddafis Ansehen schädigen können, doch kaum jemand
sagte, dass es unwürdig sei,
sich wie ein Hund zu
verstecken. Er bekam vielmehr den Ruf des Allmächtigen und Allgegenwärtigen und man traute ihm wieder alles
zu.
Als kürzlich in Tripolis wieder gekämpft wurde, vermuteten viele, dass dies auf Gaddafis Anweisung geschah und auch der Zwist
unter den Stämmen soll von ihm angefeuert
worden sein und manche prophezeiten sogar, dass ihm
das Come-Back als Herrscher gelingen oder er zumindest
dauerhaft Libyen an einem Neuanfang hindern könne. Welche Beweise braucht es noch,
dass eine arabische Diktatur zählebig ist.
Gaddafis Botschaft an seine Diktatorenkollegen war eindeutig: Bloß nicht aufgeben! Doch er ist mit seiner
Strategie nicht durchgekommen. Die Kämpfer der Übergangsregierung
– unterstützt von Nato-Bombern
– haben ihm einen Strich durch
die Rechnung gemacht. Ein Glück.
Natürlich wird jetzt auch Bedauern geäußert. Gaddafi sei
mit einem Tod im Kampf
zu billig davon gekommen. Vor Gericht wollten
sie ihn bringen;
entweder vor den internationalen Strafgerichtshof oder auch
ein libysches Gericht. Gerne hätten sie auch
diejenigen vor dem Richter gesehen, die ihm über die Jahre
geholfen hatten. Seine Unterstützer in Libyen, aber auch in Europa
und den USA. Waren die Beziehungen
in den letzten Jahren doch immer inniger
und die Kritik an Gaddafis Herrschaftsstil immer leiser geworden.
Sicherlich wäre in einem solchen Prozess
einiges Interessantes auch über die europäische
Politik zu Tage gekommen. Es ist schade,
dass das nun ausbleibt, doch es hat auch etwas
Gutes: Gaddafi im Gefängnis und vor Gericht hätte sicherlich
keine Gelegenheit ausgelassen, weiter Unruhe zu stiften
und für Verwirrung zu sorgen. Am Ende
hätte er sich womöglich in seiner Rolle als Angeklagter ganz gut eingerichtet und hätte die Anklagebank als Tribüne für
seine berüchtigten Reden benutzt.
Katastrophen-Beispiel Ägypten
Der Blick
ins Nachbarland Ägypten, wo seit Monaten
der Prozess gegen Ex-Präsident Hosni Mubarak vor sich hindümpelt
und statt Aufklärung nur Chaos bringt, ist abschreckendes Beispiel genug. Wichtige Zeugen der Anklage
haben ihre Aussagen gegen Mubarak zurückgezogen und behaupten nun das Gegenteil. Anwälte verwandeln mit ihren 1001 Anträgen den Gerichtssaal in die Bühne für
ein absurdes Theaterstück. Vorgänge wie diese dienen
weder der Wahrheitsfindung noch fördern sie den Glauben der Menschen,
die Jahrzehnte lang in der Diktatur gelebt
haben, an die Werte von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
So ist es
vielleicht doch auch ein Grund
zu feiern, dass Libyen – dank der Ermordung Gaddafis
– nun eine vergleichbare Katastrophe erspart bleibt.
Das Wichtigste an allem ist
sowieso, dass überhaupt gefeiert wird. Endlich gibt es mal wieder einen Grund.
In den vergangenen Wochen machte sich Frust
unter den Jugendlichen der arabischen Revolutionen breit. Auch sie beobachteten,
wie die Diktatoren zunehmend wieder an Selbstbewusstsein gewannen und nicht im Traum daran
zu denken schienen, abzutreten. Schon US-Philosoph Gene Sharp, der geistige Anstifter
der Arabischen Revolte, dessen Werke von den Aktivisten in der Region verschlungen wurden, merkte in seiner Anleitung zum friedlichen Sturz von Diktatoren an, dass Parties ungemein wichtig sind. Selbst kleinste
Erfolge sollten gefeiert werden, denn Jubel macht
Mut. Den kann
der Arabische Frühling dringend gebrauchen.