Der Mythos der Weltherrschaft
Um die elitären
Bilderberg-Treffen ranken sich viele Legenden.
Kritiker zeichnen fantasievolle Bilder von profithungrigen Kapitalisten, die
in teuren Hotels ihre globalen Schachzüge aushecken. Doch was macht das transatlantische
Netzwerk wirklich? von
Christian Nünlist
Die Bilderberg-Konferenzen sind sagenumwoben. Normalerweise erfährt die Öffentlichkeit erst im Nachhinein
von den jährlichen Geheimtreffen
der weltweit einflussreichsten Politiker, Militärs, Industriellen und
Banker, die seit 1954 immer
an einem anderen Ort stattfinden. Die «Globokraten»
(«Economist») reservieren sich
jedes Jahr drei Tage in ihrer
übervollen Agenda, um mit anderen Powerbrokern über aktuelle globale
Probleme zu plaudern.
Der 95-jährige Weltbankier und Milliardär David
Rockefeller wird sich diese Woche mitsamt
Rollstuhl in die Schweiz quälen, wo im
Hotel Suvretta House in St.Moritz das
58.Bilderberg-Treffen stattfinden soll.
Die Bündner Behörden haben bestätigt, dass die Tagung vom 9. bis
zum 12. Juni durchgeführt wird.
Könige der Nacht
Kritiker verurteilen die Bilderberg-Treffen seit Jahrzehnten
scharf und zeichnen fantasievolle Bilder von profithungrigen Kapitalisten, die
in abgeriegelten Fünfsternehotels
ihre nächsten globalen Schachzüge aushecken. Verschwörungstheoretiker
sprechen von «Königen der Nacht» und einer «Schattenregierung», die heimlich die Welt regiere. Den Bilderbergern wird so ziemlich alles zugetraut: die Gründung der EU, die Einführung
des Euro, der Einmarsch in
den Irak-Krieg. Im Internet
finden sich auch reichlich absurde Vorwürfe: Die Bilderberger hätten Beziehungen zu al-Kaida, verheimlichten ein Heilmittel gegen Krebs oder wollten die USA mit Mexiko fusionieren.
Journalistische Beiträge beziehen sich bisher
ausschliesslich auf zwei Investigativ-Reporter, die das Thema seit längerem
beackern und durch Hörensagen spekulative Bücher über den elitären Zirkel verfasst haben: Jim Tucker und
Daniel Estulin. Dabei muss heute nicht länger
spekuliert werden, was an den Tagungen diskutiert wird. Die offiziellen Bilderberg-Dokumente unterliegen zwar einer Sperrfrist von 50 Jahren und können heute erst bis
1961 eingesehen werden. Auch Audiokassetten von einzelnen Treffen sind noch nicht
öffentlich zugänglich.
Aber zahlreiche Berichte von regelmässigen Teilnehmern sowie ihre handschriftlichen Notizen können in privaten Archiven in den USA und Europa eingesehen werden. Auch das
Archiv der Ford Foundation
in New York ist eine Goldgrube für Bilderberg-Historiker. Wikileaks hat zudem im letzten Dezember
Tagungsberichte aus den Jahren 1955 bis 1962 sowie 1980 ins Internet gestellt.
Handschriftliche Notizen
Der Historiker
Thomas Gijswijt hat 2007 eine
lesenswerte Dissertation über
die Bilderberger geschrieben,
die das elitäre transatlantische Netzwerk auf der Grundlage dieser
neuen Quellen analysiert. «Ich konnte aus dem
verfügbaren Archivmaterial einen guten Überblick
darüber gewinnen, wer wann was sagte»,
so Gijswijt. Dank den handschriftlichen
Notizen einzelner Teilnehmer konnte der holländische Historiker die Bilderberg-Diskussionen
der Jahre 1954 bis 1966 im Detail rekonstruieren, auch wenn die offiziellen Konferenzberichte die jeweiligen Redner anonym lassen und nur ihre Nationalität
nennen. Den Verschwörungstheoretikern
wird mit Gijswijts Puzzlearbeit der Nährboden für
ihre Spekulationen endgültig entzogen.
Der Eliteklub
war ab 1952 auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ins Leben gerufen worden, um die Beziehungen zwischen Amerika und Westeuropa zu stärken. Im
Kern ging es in den
1950er-Jahren um die neue Rolle
der USA in Europa, nachdem Amerika nach dem Zweiten
Weltkrieg infolge des Marshallplans und der Nato eine «europäische
Macht» geworden war.
Bilderberg war eine exklusiv
europäische Initiative, die anfangs
auch nur von Europäern finanziert wurde. Geistiger Vater war der Pole Josef Retinger, ein enger
Freund Winston Churchills. Im
Mai 1954 fand unter der Ägide von Hollands
Prinz Bernhard das allererste Treffen statt, im Hotel De Bilderberg in
Oosterbeek. Das Prinzip der Vertraulichkeit liess seither aus
«Bilderberg» einen Mythos entstehen,
der die wahre Bedeutung der jährlichen
Treffen überhöht.
Den Bilderbergern
gelang es aber im Kalten
Krieg, die Sichtweisen der Eliten in Amerika
und Westeuropa zu synchronisieren – durch den intensiven, dreitägigen Dialog über die wichtigs-
ten globalen
Probleme und die persönlichen
Kontakte wurde die Einheit des Westens gestärkt.
Transatlantische Politik beeinflusst
Gijswijt nennt in seinem 344-seitigen Buch zahlreiche Beispiele, wie die Bilderberg-Debatten die transatlantische Politik beeinflusst haben. Die Bilderberger plädierten für eine starke
Nato und grosse Verteidigungsbudgets. Sie isolierten in den 1960er-Jahren die Gaullisten
in Frankreich und stärkten
die Beziehungen zwischen
den USA und Deutschland, so dass die BRD fest im atlantischen
Bündnis verankert blieb und keine antiamerikanische Achse
Berlin-Paris entstand. Es gelang
ihnen, westdeutsche Sozialdemokraten zu Amerikafans zu machen.
Wer kommen darf,
entscheidet ein 32-köpfiger
Lenkungsausschuss unter der Leitung des Belgiers Etienne Davignon. In St.Moritz werden unter anderem die Elder Statesmen
Henry Kissinger, Madeleine Albright, Joschka Fischer erwartet. Es gibt strikte Regeln: Die handverlesenen Gäste müssen alleine kommen, ohne Partner. Keiner der Teilnehmer,
darunter auch zahlreiche Chefredaktoren, darf über die Diskussionen
schreiben. Nichts, was an den Bilderberg-Tagungen gesagt wird, darf
zitiert oder veröffentlicht werden. Das erlaubt offene,
ehrliche Diskussionen.
Networking auf höchstem Niveau
Ehemalige Teilnehmer schwärmen von der Effizienz der Tagungen,
da sie unnütze bürokratische Umwege ersparten. «Man lernt sehr viel und schärft
sein Urteil», gab Matthias Nass von der «Zeit» vor einigen Jahren
Auskunft. «Das ist wie ein
Intensivkurs in internationaler
Politik.» Andere sprechen von Networking
auf höchstem Niveau.